Bietigheimer-Zeitung vom 05.12.2015

Tiermenschen sind in der Stadt


Künstlerin Inken Meyn setzte Menschen Tierköpfe auf und platzierte sie an malerischen Orten von Bietigheim-Bissingen. Die Motive gibt es als 17-teilige Postkartenserie in der Städtischen Galerie und in der Stadtinformation.


[...] Ein Mensch mit Affenkopf vor dem Schloss, einer mit Hahnenkamm am Rathaus, ein Krokodil vor den Marktplatzarkaden, ein Kuhmensch am Unteren Tor, ein Chamäleon im Japangarten, ein Pelikan auf der Enzbrücke, Adler und Wasserbüffel im Bürgergarten - das sind nur einige der Tiermenschen, die auf den Postkarten von Inken Meyn sich in Bietigheim tummeln. Mit der Idee zur Postkartenserie Tierutopien für Bietigheim-Bissingen verband die in Schleswig-Holstein geborene Künstlerin Tiersymbolik mit den malerischen Ansichten ihrer Wahlheimatstadt.


Tiere und auch Tier-Mensch-Wesen, sogenannte Chimären, haben in der Antike als auch im Christentum eine starke Symbolik. Seit Jahren beschäftigt sich Meyn damit und hat eine eigene Ikonologie erschaffen. Indem sie Menschen, zeitgenössisch gekleidet, einen Tierkopf aufsetzt - ein Mensch ist Träger immer zweier Tierköpfe, einem positiv und einem negativ besetzten: So beginnt die Serie, die innerhalb Bietigheims als Weg vom Schloss zum Viadukt konzipiert ist, mit dem Affen und der Antilope. Erstgenanntes Tier ist gleichzusetzen mit Lüsternheit, Eitelkeit und Trägheit, die Antilope hingegen verkörpert ein heiliges Tier, das schnell vor der Eitelkeit flieht.


Die Tiermenschen wurden von Inken Meyn vor monochromatischem Hintergrund fotografiert, die so entstandenen lebensgroßen Tafeln platzierte sie in Fotografien der Bietigheimer Innenstadt. Da kommt zusammen, was offensichtlich nicht zusammengehört - und so auch der Titel der Serie: "Tierutopien für Bietigheim-Bissingen". Da prallen Gegensätze auf einander: Einerseits die mittelalterliche, malerische Fachwerkkulisse, anderseits christliche sowie antike Symbolik und beides trifft auf die Urbanität einer modernen Stadt. So sind die Ansichtskarten mehr als nur eine Ansicht: Sie sind die künstlerische Betrachtungsweise einer Stadt. Vor allem, weil die Tierfiguren auf den Fotos meist dominant sind.


Meyns utopische Installation endet in der Enz, wo die Tafeln gegen den Strom aufs Viadukt zu schwimmen, um sich dort in den Arkaden wie eine Armee aufzureihen. Hier versammeln sich dann alle bisher in der Stadt verstreuten Tiermenschen. Am Schluss wird das Viadukt zum Triumphbogen für die gesamte Tiermenagerie. Auch damit knüpft Meyn an eine lange Tradition an: das Bestiarium.


GABRIELE SZCZEGULSKI, 05.12.2015